Arthur Schnitzler. 1898.
Stellen Sie sich vor, es ist Revolution und niemand geht hin: Zumindest niemand, der etwas auf sich hält. Denn alle sitzen sie vom Herzog von Cadignan abwärts am 14. Juli 1789 in der Spelunke „Zum Grünen Kakadu“, während draußen auf den Straßen von Paris das gemeine Volk die Bastille erstürmt. In seiner Kaschemme engagiert der Wirt Prospère Schauspieler, die in die Rollen von Dieben, Prostituierten und Mördern schlüpfen und damit die hier anwesenden französischen Adligen belustigen. Im Schutz des Spiels erlaubt sich der ein oder andere Ganove, dem verhassten ersten Stand ins Gesicht zu sagen, was eigentlich von ihm und seinen Vertretern zu halten ist, während das adelige Publikum es (für Scherz haltend) wollüstig-schaudernd genießt, „unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen“. Die Grenzen zwischen wahrem Verbrechen und Schauspiel verschwimmen, verwirren Publikum 1789 und 2023, bis es heißt:
„Sein… spielen… kennen Sie den Unterschied so genau, Chevalier?“
Rollin, Dichter.
Die unterhaltsame Groteske von Arthur Schnitzler (1862-1931) wurde am Burgtheater in Wien am 1. März 1899 uraufgeführt und zeichnet sich durch das virtuos geführte Spiel mit der Wirklichkeit aus, durch das am Ende zwar keiner mehr recht weiß, wo oben und unten ist – aber hoffentlich niemand seinen Kopf verliert.
Pressestimmen
Artikel zu einem Vorfall während der Dernière (PDF, 18,9 MB)
Aufführungstermine
- Dienstag, 20. Juni, 20 Uhr
- Montag, 26. Juni, 20 Uhr
- Dienstag, 27. Juni, 20 Uhr
- Mittwoch, 5. Juli, 20 Uhr
- Freitag, 7. Juli, 20 Uhr
- Samstag, 8. Juli, 20 Uhr
- Ersatztermin (falls eine der Vorstellungen wetterbedingt ausfallen muss): Sonntag, 9. Juli, 20 Uhr
Ort: Garten des Germanistischen Seminars, Karlstraße 2, 69117 Heidelberg
Kartenreservierung ab 1. Juni, 18 Uhr.
Kartenverkauf im Eingangsbereich des Seminars ab Mitte Juni jeweils am Mittag
Abendkasse jeweils ab 19.00 Uhr (reservierte Karten sind bis 19.30 Uhr abzuholen)
Gastspiel auf Schloss Fürstenau (in Michelstadt)
Gastspiel auf Schloss Fürstenau: Samstag, 1. Juli 2023, 19.00 Uhr
Vorverkauf voraussichtlich ab Mai 2023 bei der „Gästeinformation Michelstadt“, Marktplatz 1, Michelstadt
Abendkasse ab 17.45 Uhr
Gedanken zum Stück
Meisterhaft gelingt es Schnitzler mit wenigen Federstrichen psychologische Skizzen von Typen zu zeichnen, die nach der Freiheit gegen die Bindung streben und entfremdet von der Wirklichkeit Zuflucht im Spiel suchen. Sein Freund Hugo von Hofmannsthal hat zu Schnitzlers „Anatol“ einen Prolog verfasst, der wohl auch für den grünen Kakadu Geltung beanspruchen kann:
„Also spielen wir Theater,
Hugo von Hofmannsthal
Spielen unsre eignen Stücke,
Früh gereift und zart und traurig,
Die Komödie unsrer Seele,
Unsres Fühlens Heut und Gestern,
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
Halbes, heimliches Empfinden
Agonien, Episoden…“
Während die Grenzen zwischen Komödie und Wirklichkeit verschwimmen, blitzt im grünen Kakadu zwischen dem offensichtlich Komischen hin und wieder das ernsthaft Tragische durch. Die moralische Autorität entgleitet den Händen, die sie vorher aufrecht erhielten. Aber ob die Revolution die gesellschaftlichen Gräben, in denen sie geboren wurde zu schließen vermag bleibt offen.
Also – spielen wir Theater!
Zur Inszenierung
Schnitzler bediente sich beim Überzeichnen der adeligen Charaktere Zitate auf unkonventionelle Lebensentwürfe im Hinblick auf Liebe und Ehe. François und „sein Compagnon“, die Marquise und ihr Mann mit dem gemeinsamen Liebhaber und der Herzog, „dessen größtes Unglück es ist, immer den Falschen zuerobern und die Unrichtige tot zustechen“, bilden Ausgangspunkt für einen zeitgemäßen Perspektivwechsel.
War Diversität bei Schnitzler noch ein Mittel, um die Überweltlichkeit des Adels zu karikieren, hat sie heute ihren festen Platz in der Mitte der Gesellschaft gefunden. Trotzdem sehen sich heutzutage mit ihr ebenso Gleichheit, Freiheit, Geschwisterlichkeit immer noch steten Angriffen ausgesetzt.
Auch nach weit mehr als 200 Jahren bleibt es notwendig, sie gegen diese zu
verteidigen und für gleiche Rechte einzutreten. In diesem Sinne war gerade auch Sichtbarkeit ein essentieller Bestandteil der diesjährigen Inszenierung.
Jonah Cedric Strauß